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«Wir haben auf die 1. Welle gewartet, und sie kam nicht» (Spital Schaffhausen)

Mit der Corona-Krise war der Operationskalender von Adrienne Imhof mit einem Schlag leer. Ihre Mitarbeiter schickte die Schaffhauser Chef-Chirurgin auf die Intensivstation – oder nach Hause.

Adrienne Imhof (50) legt ihre Maske ab. Der Sicherheitsabstand ist eingehalten, die Tischplatte und die Hände frisch desinfiziert. «Da dürfen wir das», erklärt die Chef-Chirurgin. Seit knapp zwei Wochen kehrt das Leben zurück ins Kantonsspital Schaffhausen. Und Imhof, die während der vergangenen zwei Monate die Notfallstation geleitet und das Personal im für die Corona-Welle leer geräumten Spital gemanagt hat, darf endlich wieder regulär an den OP-Tisch.

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BLICK: Wie gross war die Welle für Ihr Spital?
Adrienne Imhof: Klein. Wir können jetzt etwas aufatmen. Überhaupt hatten wir im ganzen Land Glück – auch mit dem Material. Das war knapp, wir mussten haushalten und einteilen. Aber es ist immer aufgegangen.

Zu Höchstzeiten hatten Sie 16 Corona-Patienten auf der Isolierstation und nie mehr als vier beatmete Patienten auf der Intensivstation. War es übertrieben, dass all Ihre OPs dafür abgesagt wurden?
Wir wären in unserer privilegierten Situation vielleicht auch mit weniger harten Massnahmen hingekommen: Die Welle kam vom Süden und vom Westen. Wir waren bei der Ausbreitung hinterher und konnten schauen, wie sich die anderen vorbereiteten. Aber wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn man das nicht so gemacht hätte. Und die Vorgaben vom Bund waren klar. Da gab es keinen Interpretationsspielraum.

Musste das Personal Däumchen drehen?
Ein bisschen schon. Wir haben eben auf die Welle gewartet, und sie kam nicht. Als Führungskraft hatte ich mit der Organisation des Betriebs und der täglichen Anpassung an die Situation viel zu tun, aber bei den Mitarbeitern kam schon Langeweile auf. Je länger das dauerte, desto schwieriger war es, die Mitarbeiter zu motivieren.

Wie haben Sie das gelöst?
Die Mitarbeiter, die keine Arbeit hatten, haben wir konsequent heimgeschickt. Und auch mit dem Personaldienst ausgearbeitet, wie wir mit den Minuszeiten umgehen, damit es eben nicht zum Nachteil der Mitarbeiter ausfällt. Und wir haben die Mitarbeiter, die es anderswo brauchte, anderswo eingesetzt. Meine Mitarbeiter von der Chirurgie habe ich beispielsweise zu einem grossen Teil auf die innere Medizin und die Intensivabteilung ausgeliehen. Alle waren dafür sehr offen und haben zusammengehalten. Wir wussten ja gar nicht, was uns erwartet!

Kamen viele Verdachtsfälle in die Notfallstation?
Wir haben mehr erwartet. Ich denke, viele sind daheim geblieben und haben sich in Selbstquarantäne begeben. Bei denen, die kamen, gab es alles: von Patienten, die unsere Vorsicht übertrieben fanden, bis hin zu Patienten, die fast schon psychologischen Support brauchten, bis das Testergebnis endlich da war.

Die Tests sind in den vergangenen Wochen schneller geworden, oder?
Es sind die gleichen Tests. Anfangs hatten wir ein grosses Problem mit der Verfügbarkeit von Testmaterial. Und ganz am Anfang wurde nur in Genf getestet – das hat dann gut und gerne mal 48 bis 60 Stunden gedauert, bis das Resultat nachkontrolliert rausgegeben wurde. Dann haben einzelne Labors vom Bund die Akkreditierung zum Testen bekommen. Im Labor geht es immer etwa gleich lang, und wir sind jetzt auch für uns im Haus in der Lage, in notfallmässigen Ausnahmesituationen den Test zu machen. Das ist kein Schnell- oder Billigtest, sondern genau der gleiche. Der ist aber vorbehalten für absolute Notfallsituationen weil der Test sehr rar ist. Nach wie vor ist der Nachschub der Reagenzien (Nachweismittel, Anm. d. Red.) schwierig. Die Industrie produziert zwar kräftig, kann aber nicht den weltweiten Bedarf abdecken.

Was hat Sie an Covid-19 am meisten überrascht?
Die Rasanz, mit der sich die Krankheit entwickeln kann. Und die Bandbreite. Von Patienten, die gar nichts spüren und vielleicht mal einen Tag nichts riechen und schmecken, bis zu jenen, die nur mit einem trockenen, rauen Husten ins Spital kommen und dann wirklich mit einer rasanten Verschlechterung innert Stunden intensiv- und beatmungspflichtig werden. Und wir wissen leider nie, wer wie reagiert.

Auch nicht aufgrund der körperlichen Verfassung, Vorerkrankungen oder des Alters?
Nein. Das ist wirklich erschreckend. Klar: Im Schnitt trifft es den vorerkrankten über 65-Jährigen. Aber alle Patienten können mit einer Verschlechterung reagieren.

Wann hatten Sie mehr Angst vor dem Coronavirus: vor zwei Monaten oder jetzt?
Ich habe sehr gute Nerven und bin nicht sehr ängstlich. Aber ich habe grossen Respekt. Uns allen ist bewusst, dass wir sehr gefährdet sind – das bringt unser Beruf mit sich. Umso rigider müssen wir alle Vorschriften einhalten.

Haben sich Mitarbeiter infiziert?
Wir haben alle Mitarbeiter sehr engmaschig getestet und können nach jetzigem Stand sagen, dass sich bislang nur ein Mitarbeiter möglicherweise am Arbeitsplatz angesteckt hat. Das untersuchen wir gerade noch intern. Ein schöner Beleg, dass unsere Massnahmen funktionieren: Abstand halten und konsequente Händehygiene sind das Wichtigste.

Was würden Sie bei einer zweiten Welle anders machen?
Nicht viel. Alle Rechenmodelle beruhen auf so vielen Variablen. Solange wir über die Krankheit nicht wirklich mehr wissen, müssen wir sehr umsichtig sein. Das Risiko, dass sich ein Patient, der für einen Routineeingriff zu uns kommt, ansteckt – das dürfen wir einfach nicht eingehen.

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